Das Tempelgründungs- und Weiheritual
des ägyptischen Tempels.


In zahlreichen ägyptischen Tempeln sind an den Wänden eine Abfolge von rituellen Handlungen der Tempelgründung zu sehen. Zum Teil sind diese komplett oder in verkürzter Reihenfolge dargestellt. In Details gibt es einzelne Unterschiede in den verschiedenen Epochen.

Teilweise sind diese Darstellungen bereits aus der ägyptischen Frühzeit bekannt. Es sind zwei Versionen zu finden, eine ober- und eine unterägyptische Version, die sich unterscheidet nach der Krone des Königs, die er trägt und seiner Blickrichtung. Gelegentlich trägt der König die Atef-Krone. Damit vereint der König die beiden Versionen ohne die Krone wechseln zu müssen.

Die Atef-Krone ist zusammengesetzt aus der weißen Krone Oberägyptens und der Anedtj-Feder-Krone, an der seitlich zwei Straußenfedern (Maat-Federn) angebracht sind.
Im Neuen Reich befanden sich zusätzlich an der Atef-Krone am unteren Ende zwei Widder- oder Stierhörner. Am oberen Ende kann sich gelegentlich eine Sonnenscheibe und am vorderen Teil die Uräusschlange befinden.
Diese Krone wurde vom König nur zu bestimmten Kulthandlungen getragen.

 

Foto: Tempel von Dendera, Südwand.

Der Startzeitpunkt für Gründungszeremonien scheint auf Grund textlicher Belege der Neumondtag gewesen zu sein. Möglicherweise wurden die Vorbereitungen zum Tempelbau vor der Überschwemmungszeit getroffen. So konnte gleich nach der Überschwemmung mit dem Bau begonnen werden.
Nach Auffassung der Ägypter ist das Sein vergänglich. Aus diesem Grund muß eine ständige Regeneration erfolgen. Der Ägyptologe, Sanna abd El-Azim El-Adly1, schreibt darüber folgendes:
Für den Ägypter war das Nichtsein die unerschöpfte Urmaterie, die es galt stets durch das Sein zu vollenden.
Beim Bauen eines Tempels stößt der Bauherr zuerst auf das Grundwasser, was den Zustand vor der geordneten Welt darstellt. Hier wird Sand aufgeschüttet, um einen neuen Urhügel bzw. Seiendes empor steigen zu lassen.
Während die Sedfest-Feierlichkeiten der Regeneration des Königs dienten und die jährliche Nilüberschwemmung als ein natürlicher Regenerationsvorgang der Welt angesehen wurde, stellt das Gründungsritual des Tempels eine symbolisch verwirklichte Regenerationsprozedur der Welt dar.

Der König folgt dem Auftrag der Götter das Unvollendete zu vollenden, das Vollständige umzuformen und somit das Sein stetig zu verbessern und zu verwahren und somit den Göttern eine Erwiderung auf ihr Sein zu bestätigen.
Passivität, Trägheit und Erwiderungslosigkeit gehörten zum Nichtsein.

Das Gründungsritual ist die symbolisch realisierte Regenerationsprozedur der Welt, während das Weiheritual die Existenz der Götter verherrlicht.

Während die Initiative einen Tempel zu errichten bei den Babyloniern, den Etruskern, den Römern, die das Gründungsritual von den Etruskern übernahmen, sowie bei den Hindus eine göttliche Inspiration durch einen Traum, ein Omen ist, ging die Initiative bei den Ägyptern hauptsächlich auf den Willen des Königs zurück.

Die Gründung ägyptischer Tempel wurde in den einzelnen Abschnitten in Szenen des Gründungsrituals dargestellt. Alle Handlungen und Litaneien, die zum ersten Bauabschnitt eines den Göttern geweihten Tempel gehören, vereint dieses festliche Ritual.

Nach der Interpretation von Jean-Claude Golvin und Jean-Claude Goyon  ist der Zweck der aufeinanderfolgenden Rituale die Gestaltwerdung eines neuen Wesens vorzubereiten. Hier ist das Gebäude des Tempels darunter zu verstehen, das wie ein menschlicher Körper oder ein Tier als heilige lebendige Hülle zur Wohnung Gottes werden soll.

Die Mauern des Tempels umschließen die Räume des Tempels, Mittelpunkt des Inneren als räumlicher und geistlicher Mittelpunkt ist das Allerheiligste.
Hier wohnt bzw. hält sich der Gott auf, der diesem Ort Leben spendende Gotteskraft verleiht, welche dem Menschen zugedacht ist.

Der König, als Sohn Gottes somit auch Hohepriester und einziger Bauherr hat zuallererst die Verpflichtung, die >Wiege< des zukünftigen Tempels zu schaffen.
Er muß meschenet erschaffen, die Stelle, aus der die Wurzeln des Gebäudes wachsen sollen. Das Entstehen, Wachsen auf festem Fundament sowie seine Vollendung galten einzig als zukünftige Rolle des Tempels Gott auf Erden zu beschützen.

 

Auf dem Foto ist der Tempel von Medinet Habu in Theben West zu sehen.
Hier ist deutlich zu erkennen wie man vom Eingang, dem Hohen Tor, bis ins Tempelinnere Richtung zum Allerheiligsten schauen kann.
Architektonisch war der Tempel so angelegt, daß die Höhe sich nach hinten verjüngt und der Boden sich leicht anhob.
Die Räume waren überdacht, so wurde es nach hinten zum Allerheiligsten, dem geistlichen Mittelpunkt des Tempels, immer dunkler und infolgedessen entstand eine mystische Atmosphäre in welcher der Gott wirkte.
Wird ein Tempelbau geplant, muß als erstes durch den König mit seinen Akolyten, den Reinigungspriestern, der Bauplatz festgelegt und die Grundrichtung bestimmt werden.
Mit Hilfe eines Visirstabes, der mechet, wurden die Himmelsrichtungen nach dem Großen Wagen und je nach Jahreszeit auch nach dem Orion am Südhimmel bestimmt. Als Eckmarkierungen wurden Visierstäbe errichtet.
In den Szenen des Gründungsrituals wird die Gründung des Tempels dokumentiert.
Auf der nächsten Seite stelle ich die Szenen des Gründungs- und Weiherituals vor, welche an den Tempelwänden am häufigsten zu sehen sind.

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    Literaturverzeichnis
1 El-Adly, Sanna abd El-Azim, siehe Literaturverzeichnis