Szenen des Gründungs- und Weiherituals an den ägyptischen Tempelwänden.
Wie bereits erwähnt, wird vor der Tempelgründung durch den König mit seinen Akolyten, den Reinigungspriestern, als erstes die genaue Orientierung des Tempels festgelegt.
Dazu ist zum Beispiel in Edfu folgende Rede des Königs zu lesen die er in einer Ritualszene des Meßstrick-Spannens an Horus von Edfu richtet1:
"Den Strick spannen.
Worte zu sprechen: Ich habe den Pflock und den Griff des Schlegels ergriffen, und ich habe [zusammen mit] der Göttin Seschat den Meßstrick zur Hand genommen. (Vorher) habe ich das Voranschreiten beim Gang der Sterne betrachtet und den Großen Bären geschaut. Ich bin der, der die Zeit vorbeiziehen läßt, der mit dem Meretchet-Gerät mißt, indem ich die vier Ecken deines Tempel festlege."
Stricke spannen im Tempel von Abydos.

Strickspannen wird diese symbolische Gründungszeremonie eines Tempels genannt. Im Tempel von Abydos führt Pharao Sethos I. zusammen mit der Göttin Seschat diese Zeremonie aus.
Hierbei werden zwei Pflöcke in den Boden geschlagen, die mit einem Strick umspannt sind.

 

Pflöcke einschlagen  im Tempel von Edfu.

Zusammen mit dem Gott (Thot oder Seschat) schlägt der König mit einem Schlegel die gegabelten Fluchtstangen der Visiergerüste in den Boden ein.
Der zwischen den Fluchtstangen gespannte Meßstrick kennzeichnet endgültig das Areal auf dem der Tempel entstehen soll.
Anschließend wird an allen Ecken des Areals eine Gans geopfert, der der Kopf abgeschnitten wird.

Ziegel formen im Tempel von Edfu.

Der nächste Schritt des Rituals ist das Formen der ersten Ziegel. Das findet noch bevor das Fundament ausgehoben wird statt. Viermal werden alle Ritualhandlungen wiederholt. 
Dazu füllt der König ein in Wein aufgelöstes Gemisch aus Weihrauch und Terpentinharz in die Ziegelform und stampft es fest.
Danach entnimmt er es der Form und legt es auf dem Altar zum Trocknen aus.

 

Fundamentgrube ausheben - im Tempel von Edfu.

Nachdem der Meßstrick auf der Gipsschicht einen Abdruck hinterlassen hat, welche unter ihm angebracht wurde, entnimmt der König den Strick und hebt mit der großen sedjamet-Hacke die oberste Erdschicht des Fundamentgrabens aus.
Nachdem die Erde aufgerissen und somit "verletzt" wurde, tritt eine kritische Phase ein.
Die Schutzschlange, der Agathodaimoin, könnte provoziert worden sein und muß besänftigt werden.
Ansonsten könnte die Schlange das Ritual zum Scheitern bringen.
Das Gänseopfer an allen vier Ecken war wohl dafür gedacht die Schlange mit der Opfergabe zu besänftigen. 

Nach dieser Zeremonie wird nun angefangen den Fundamentgraben auszuheben. Es wird bis zum Grundwasserspiegel gegraben bis die Sohle des Grabens mit Wasser gefüllt ist. Der Wasserspiegel ist die Ideallinie der Waagerechten und symbolisiert die Göttin Nun, die wie bei der Weltentstehung empor steigt. Anschließend werden rings um den Fundamentgraben Markierungen eingeritzt. Bis zu diesen Markierungen soll der Sand geschüttet werden.

Fundament ausheben im Tempel von Et-Tod.
Auf den Abbildungen der Gründungszeremonien wird der Tempel oft oval dargestellt, obwohl er vollendet ein Rechteck bildet.
Dies wird einer Gebärmutter nicht unähnlich interpretiert.
Diese Art der Darstellung wird hier wahrscheinlich dargestellt und ist im Tempel von Et-Tod zu sehen.
 

Sand aufschütten - im Tempel von Edfu.

Nun wird begonnen den Graben mit Sand aufzuschütten. Der Sand wird in der Grube festgestampft und nach der Horizontrallinie der Wasseroberfläche korrigiert.
Durch diesen Untergrund hat das Gebäude eine stabile Basis und droht später nicht in Gefahr sich zu senken.
Der Sand verhindert in den Fundamentgräben alle statischen Veränderungen.

Gründungsbeigaben - im Tempel von Edfu

Der König bringt dem Gott Horus die Ziegel für die Gründungsbeigaben, welche an den Gebäudeecken oder an den Rändern der Fundamentgräben in den Sand oder auch gesondert in kleine angelegte Gründungsgruben gelegt werden.
 

2

Vorbereitung zum Niederlegung von Gründungsbeigaben - im Sonnenheiligtum des Niuserre.
Etwa 1 km nordwestlich der Pyramiden von Abusir am Wüstenrand befinden sich die Überreste des Sonnenheiligtums aus der Zeit der 5. Dynastie, welches unter dem König (Pharao) Niuserre erbaut wurde, der etwa von 2455 bis 2420 v. Chr. regierte.

Diese Darstellung ist bisher nur einmal im Sonnenheiligtum des Niuserre belegt.

Dieses Gründungsopfer wird als Hnk.t-Opfer bezeichnet. Dieses Opfer bestand meist aus Wasser- und Räuchergefäßen, einen Gans- oder Rinderkopf.

Ziegel streichen - Karnak, Open Air Museum, Rote Kapelle der Hatschepsut.

 

Auf dieser Darstellung ist die kniende Königin zu sehen, die in der rechten Hand einen Ziegelformer hält und mit der linken Hand die Ziegel streicht.

In der Beischrift wird von viermaligen Ziegelausstreichen berichtet.
El-Adly3  sieht darin einen Beleg auf das hohe Alter des Rituals, weil die späteren Tempel aus Stein gebaut wurden.
Auch weist das Ritual auf den jahreszeitlichen Baubeginn hin, da nach der Nilschwemme reichlich Baumaterial für Ziegel vorhanden war.

Tempel verputzen - im Tempel von Abydos.

Der König steht vor Gott, zwischen ihnen befindet sich eine Abbildung des Tempeltores. Das Tempeltor wird von einem kartuschenförmigen Ring umfaßt, welcher aus der Hand des Königs fließt. Es handelt sich dabei , nach Aussage der Inschriften, um ein viermaliges  Herumstreuen von Gips.

Komplett aus Stein wurden die Tempel erst seit der 12. Dynastie errichtet. Davor bestanden diese aus Ziegel, welche nach der Fertigstellung mit Lehm verputzt wurden.
Der weiße Lehm sollte die Reinheit zum Ausdruck bringen.
Mythologisch wird dies gedeutet (nach El-Adly), daß der Gott Seth aus Furcht vor dem siegreichen Gott Osiris erbleichte.
Hiermit wird dem Tempel auch die Macht siegreicher Götter zuteil.

Tempel verputzen - im Tempel von Et-Tod.

Eine detailreiche Darstellung ist im spätzeitlichen Tempel von Et-Tod zu sehen. Hier ist zu erkennen wie der Tempel mit einem Gipsband in Form kleiner aufeinander reihender Körner überzogen wird. Es handelt sich dabei um eine rohe, unbehandelte Form des Gipses, dessen körniges, kristallenes Material in einer Aneinanderreihung dargestellt wurde.
Üblicherweise wird es in einer bearbeitenden Form dargestellt, wie z. B. im Tempel von Abydos.

 

 

Reinigung des Fundaments des neuen Tempels - im Tempel von Edfu.

Das Fundament muß vorher gereinigt werden um die eigentlichen Bauarbeiten zu beginnen.
Zur Reinigung wird das Erdsalz, das Natron der Beiden Länder, das für Oberägypten in Elkab, für Unterägypten im Wadi gewonnen wird. Es ist das stärkste Desinfektionsmittel was in der Antike bekannt war und auch für die Mumifizierung verwendet wurde.
Diese Reinigung wurde zweimal vollzogen um alles Übel und die bösen Geister zu vertreiben.
Auch soll es vor jeglicher Befleckung des Tempels schützen.
Nun liegt das Natron als Schutzschicht über dem ganzen Tempelfundament.

 

Tempelübergabe - im Tempel von Edfu

Der inzwischen fertige Tempel wird nun mit entsprechenden Zeremonien an den Gott übergeben.

Tempelübergabe - im Tempel von Karnak.

 

Der vollendete Tempel wird nun seiner Bestimmung übergeben.

Hier ist am Beispiel in Karnak zu sehen, daß die Darstellungen der verschiedenen Szenen sich in Details unterscheiden können.

Tempelweihe  - im Tempel von Edfu.

Nachdem der Bau des Tempels fertig ist, wird er in aufwendigen Zeremonien den Göttern geweiht.
Aus dem Nichtseienden, das bedeutet der Zustand des Bauplatzes vor dem Bau, trat nun das Seiende, also der neu errichtete Tempel hervor.

Die Übergabe an seinem Herrn, dem jeweiligen Gott, wurde jährlich bei der Abenddämmerung, nach dem Anzünden der Flamme in der Neujahrsnacht, am ersten Tag des ersten Monats der achet (Ax.t)-Jahreszeit erneut vollzogen.

Die Dauer der jährlichen Tempelzeremonie betrug anhand von Inschriften im Tempel zu Soleb ungefähr einen Monat.

 

 

   
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1 Kurth, Dieter siehe Literaturnachweis.
2 Skizze aus: Verner, M. Die Pyramiden. Hamburg 1999, S. 94.
3 El-Adly, Sanna abd El-Azim, siehe Literaturverzeichnis